Künstlerische Forschung ist seit den 1990er Jahren en vogue und dabei zugleich heftig umstritten. Denn sie stellt im „Forschen mit ästhetischen Mitteln“ tradierte Vorstellungen von einer besonderen Befähigung zur Kunst oder der Ausgezeichnetheit eines künstlerischen Werkes ebenso in Frage wie solche von verlässlichem Wissen und objektivem Forschen. Letztere zeigen sich vielmehr als techno-mediale Produkte und damit als prekär, flüchtig und ungewiss. Auf Grund dieser epistemischen Ausrichtung soll dieser neue Bereich hierarchische, ausgrenzende und rationalistische Strukturen an Universitäten auflösen und sie hin zu einer Institution der Diversität erneuern können. Mit dem aus Künstlerischer Forschung aufkommenden, sogenannten „anderen Wissen“, das um die unhintergehbare Kontingenz der Existenz, die humane Verwobenheit im Materiellen und Umgebenden sowie die Unerreichbarkeit von Wirklichkeit „weiß“, sollen zudem ob einer großen anthropologischen Relativierung bessere und nachhaltigere Zukünfte sowie gerechtere Gesellschaften denkbar und somit möglich werden.
Im Vortrag soll allerdings nicht nonchalant dem Hype auf Künstlerische Forschung gefolgt, sondern sie vielmehr auf ihre kulturtechnische Funktionalität und Notwendigkeit in digitalen Kulturen hin befragt werden. Ausgangspunkt ist die These, dass sie da aufkommt, wo mit Digitalität Wissen, Subjekte, Handlungsmacht und als erreichbar und fix gedachte Wirklichkeiten zerbröseln. In Frage steht, welche Effekte Künstlerische Forschung im Kontext der Automatisierung von Wissen und dessen Überführung in Ungewissheit und Unsicherheit sowie im Rahmen der Immersion von Subjekten in techno-humane Handlungs-Ensembles haben könnte. Ziel ist es, Künstlerische Forschung ausgehend von dieser Analyse reflektiert für das Sein in und den Umgang mit digitalen Kulturen zu betreiben.
Martina Leeker ist Theater- und Medienwissenschaftlerin (Website). Bis 2018 war sie Senior-Researcher am „Centre for Digital Cultures“, Leuphana Universität Lüneburg. Dort erstellte sie u. a. die Interview-Serie: What are Digital Cultures? und initiierte die Buchreihe „Digital Cultures“ und ist Teil von deren Herausgeberteam.
Derzeit hat sie die Lehrvertretung des Lehrstuhls Ästhetische Theorie und Praxis am Institut für Kunst und Kunsttheorie, Universität Köln inne. Forschungsschwerpunkte sind: Digitale Kulturen, Theater/Performance und Digitalität, Art and Technology, Künstlerische Forschung, Mimesis, digitale Bildungstheorien sowie Forschung mit performativen Methoden in Speculation-Labs und Wissensperformances.
Seit Sommer 2021 konzipiert und organisiert sie Forschung zu Theater/Performance und Digitalität im „The Respectful Nettheatrechannel“ (YouTube) und experimentiert mit Performances auf dessen „Digital Stage“ bei TikTok.
Der Vortrag findet in Form einer Videokonferenz über Zoom statt. Gäste sind herzlich willkommen und erhalten den Link zur Zoom-Veranstaltung bei Tabea Alonso (talonso1@uni-koeln.de).
Bildcredits: Der Riese (1983), Dokumentarfilm von Michael Klier, mit Videos von Überwachungskameras. „Seine Bedeutung liegt weniger in der möglichen Suggestion eines Überwachungsstaates, […] als vielmehr im ungewöhnlichen Sichtbarwerden zufälliger Bewegungen, Begegnungen, Gesten und Ereignisse.“ (Lexikon des internationalen Films)
8. November 2021
16-17:30 Uhr
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