Die Projekte (PDF) entstanden im Wintersemester 2020/21 im Seminar „Be-in! und Be-happy!. Speculation-Lab zur Faszinationsgeschichte digitaler Kulturen“ von Martina Leeker. Thema des Seminars war die Geschichte digitaler Kulturen seit den 1960er Jahren, in der technische Dinge und Menschen unter anderem in Performances mit Technologie zu den heute so alltäglich gewordenen, angeblich symmetrischen techno-humanen Handlungsensembles gemacht wurden. Diese sind da problematisch, wo sie die menschlichen Agierenden unter ein Regime der technischen Dinge zwingen, was unterdessen freudig angenommen wird, da letztere als Care-Technologie nobilitiert werden. Diese problematische Aufladung lässt sich beispielsweise aus drogen-affirmativen, psychedelischen Techno-Performances der Künstlerkommune USCO, die Teil der amerikanischen Counterculture in den 1960er Jahre waren, herleiten und veranschaulichen. Denn diese Performances sollten das Bewusstsein des Menschen durch ein technoides Be-in erweitern und so die bürgerlich-rationalistische Welt zu einer freieren Gemeinschaft gleichberechtigter Mitglieder führen. Verdeckt wurde in diesen Faszinations-Environments allerdings die Fehleranfälligkeit und Begrenztheit des Technischen, die die vermeintlich unmittelbaren Verbandelungen deutlich und grundlegend in Frage gestellt hätten.
Im Seminar wurde diese Geschichte des techno-humanen Be-in im Hinblick darauf analysiert, ob und wie sie eine Akzeptanz der zum Totalen tendierenden Konnektivität digitaler Kulturen erzeugte und diese weiterhin befördert. Auf dieser Grundlage entstanden die praktischen Projekte, in denen die Imperative zum fröhlichen Be-in so angepriesen werden, dass ihre technokratischen Aspekte reflektiert werden können.
Ariane Henneberg, Fiona Becker, Annika Schlotmann
Mutationen werden als Metapher verstanden, tradierte Vorstellungen von Mensch und Identität sowie von Körpern zu befragen und andere Beschreibungen und Selbstverständnisweisen denkbar zu machen und diese zugleich zu reflektieren. Ausgangspunkt für die Mutationen sind fiktive Folgen der Impfungen gegen das Corona-Virus, die zu Beginn des Jahres 2021 noch nicht begonnen hatten.
Die von der Impfung ausgelösten Transformationen wie kleine Hörner auf der Stirn oder Verdickungen im Gesicht werden zum Anlass für ein zukunftsorientiertes und ökonomisch erfolgversprechendes Schmink-Tutorial einer findigen Influencerin.
Ästchen und Blätter, die nach der Impfung aus dem Kopf wachsen, sowie die Transformation von rotem in schwarzes Blut werden humorvoll zum Sprungbrett für ein techno-ökologisches Selbstverständnis deklariert, in dem es keine binären Grenzziehungen, sondern nur noch Hybridisierungen und Verwebungen sowie die liebevolle Sorge für die Erde gibt.
Die von der Impfung ausgelösten Mutationen am eigenen Körper werden zur Chance, soziale Kontakte mit Leidensgenossinnen aufzubauen und so endlich ein glückliches und reiches soziales Leben im Virtuellen zu führen.
Die Hoffnungen der 1960er-Hippies auf Weltverbesserung qua Bewusstseinserweiterung durch Drogenkonsum werden in die heutige Zeit verlegt und münden in einer automatischen Techno-Psychedelik.
Eine KI versucht auf Instagram mit menschlichen Agierenden in Kontakt zu kommen, was am Unverständnis letzterer für die operativen Logiken ersterer scheitert.
Die Projekte entstanden aus den technischen und ästhetischen Möglichkeiten der Plattform Instagram. Für deren Dokumentation wurden Navigationen durch die Posts, Bilder und Stories der Accounts auf der Plattform abgefilmt. So entstanden – neben der Präsenz der Projekte online – Filme mit einem eigenen techno-ästhetischen Format. Diese Ästhetik von Instagram-Filmen verändert die kinematografische Dispositiv gründlich und neue Darstellungsmöglichkeiten und Dramaturgien werden möglich, die die tradierte Einstellung von Wahrnehmung und Subjektivierung durch den Kinofilm auf mobile und kurze Formate umstellt.
Typisch für die Instagram-Filme ist etwa das „Hochkant-Format“. Mit diesem wird das kinematografische Dispositiv mit seinen Maßen sowie Darstellungs- und Erzählweisen auf die Medienästhetik des Smartphone umgestellt. Dies scheint mehr als angemessen, wird zugrunde gelegt, dass die Rezeption von Filmen auf mobilen Geräten heutzutage einen hohen Stellenwert hat. Allerdings kommen dessen Potenziale und Wirkungen erst dann zur Geltung, wenn nicht der Kino- oder Fernsehfilm in den Plattform-Filmen nachgeahmt, sondern vielmehr der mit eigenen Möglichkeiten aufwartende „Insta-Film“ erfunden und ausbuchstabiert wird.
So werden etwa durch die Navigation bis dato in Filmen genutzte zeitliche Ordnungen wie „Jetztzeit“, Rückblende oder Vorschau erweitert. Indem nämlich im Abfilmen beispielsweise immer wieder zum Beginn einer Story zurückgekehrt werden muss, um in den Posts eines Accounts weiterzukommen, wiederholt sich das schon Gesehene in umgekehrter Reihenfolge. Es entsteht eine technische Zeit des Virtuellen, die sich nicht mehr an analogen Erfahrungen orientiert, sondern allein aus den technologischen Bedingungen erzeugt wird.
Des Weiteren sind das Kommentieren und Chatten von Interesse, die während der Navigation vorgenommen und abgefilmt werden. Mit ihnen wird erstens deutlich, dass die virtuelle, digital gestützte Partizipation, die derzeit in performativen Experimenten in pandemischen Bedingungen einen hohen Stellenwert hat, nicht um ihrer selbst willen oder zum Zwecke der Demokratisierung der tradierter Institutionen Theater unternommen und massiv gefördert wird. Es geht vielmehr um das Akzeptabel-Machen der Umstellung auf eine virtuelle Liveness, für die neue Methoden und Formen der Authentifizierung gefunden werden müssen. Dabei sind unterlaufende Fehler aller Art von Interesse, da sie zum Nachweis für die zeitgleiche analoge Präsenz im Virtuellen werden. Virtuelle Liveness erhält auf diese Weise einen eigenen Apparat der Bezeugung von Echtheit und stemmt sich als solcher gegen die allseits wirksame Verunsicherung durch Fake News. Sollte Liveness im Theater bis dato zur Destabilisierung und Reorganisation festgefügter symbolischer Ordnungen führen, wird ihre virtuelle Variante so zur Konsolidierung virtueller Existenz, die letztlich immer wieder im Nichts der Datenströme verschwindet. Im Abfilmen von Partizipation entpuppt sich diese zugleich zweitens als Strategie eines techno-ästhetischen Mentalitätstrainings menschlicher Agierender. In den Fokus tritt dabei die Aktivierung der Zuschauenden zu Affirmation und Antizipation durch den Film. Denn sie werden im Verfolgen sich im Tippen entfaltender Kommentare darauf trainiert vor- sowie in der Rezeption der im Schreiben auftauchenden Tippfehler mitzudenken. Es geht also weniger um einen inhaltlichen Austausch, als vielmehr um eine operative Kette von Anschlüssen und die Organisation einer technoiden Wahrnehmung, mit der die Zuschauenden zum operativen Bestandteil der technischen Dinge und Plattformen werden. Werden dann im Verlauf der abgefilmten Navigationen Posts gelöscht, versinkt die Welt des Internet in einen Zustand der immer aktivierbaren Auflösbarkeit des Virtuellen. Gegen diese stellt sich die Dauer-Partizipation, um durch die Masse an Daten die virtuelle Präsenz gleichsam aufrechtzuerhalten. Im Internet gilt es immer „on“ zu sein.
Aus den Projekten des Seminars lassen sich zwei Erkenntnisse für eine digitale ästhetische Bildung ablesen. Es geht erstens um den Instagram-Film als vielversprechendes Format von Film und Kino in digitalen Kulturen. Dieser konstituiert sich als techno-humaner Film, dem zugleich eine medienästhetische Reflexion gleichsam schon eigen ist. Zweitens empfehlen sich „Speculation-Labs“ als probate Methoden für Bildung in digitalen Kulturen.
Instagram-Filme haben sich in den Arbeiten aus dem Seminar als eine Methode erwiesen, den Film als Medium, das auch in pädagogischen Bereichen und Studiengängen immer wieder zum Einsatz kommt, ein angemessenes Update zukommen zu lassen. Damit sind die Grundlagen geschaffen, eine Ästhetik und Dramaturgie des Films für digitale Kulturen entwickeln. Diese konstituiert sich aus zwei Aspekten. Es geht zum einen um einen techno-humanen Film, da nunmehr die technischen Dinge das Kinematografische nicht nur bedingen, sondern zudem selbst etwa durch Gesichtsfilter als Agierende in einen Film eingreifen. Es geht mithin in Richtung einer Zukunft des automatischen Films, der sich allerdings ncith zwingend der Menschen entledigt, sondern vielmehr auf deren Kooperation setzt. Dies zeigt sich etwa darin, dass die genutzten Filter im Performen den menschlichen Agierenden flgen. Zum anderen ist dieser Smartphone-Film da immer schon reflexiv, wo er sich im Navigieren in seinen technologischen Bedingungen zeigt. Denn die technischen Umstände und Umständlichkeiten (etwa des Navigierens) werden nicht versteckt oder beim Schnitt entwendet, sondern diese werden vielmehr verstärkt und ausgestellt.
Speculation-Labs, als die die Ästhetik der Instagram-Filme verortet werden könnte, haben sich als probate Erkenntnismethode in den spezifisch technischen und epistemologischen Bedingungen digitaler Kulturen erwiesen. Denn sie erzeugen und testen im praktischen Umgang durch Hyper-Affirmation, mithin mittels Verfremdung, auch im digitalen Be-in noch eine Distanz-im-Drinsein, sodass Reflexion möglich ist. Es geht dabei in den im Seminar erarbeiteten Projekten allerdings weniger um futuristische Utopien dazu, wie man in Zukunft als relationale Existenzen besser, weil gleichberechtigter leben möchte, als vielmehr um das Kappen der historisch situierten Verbandelungen mit Technologie. Dies ist entscheidend, denn erst wenn die Mentalitäten der Faszinationsgeschichte entdeckt und deren Training unterlaufen werden, können andere techno-humane Beziehungsweisen möglich werden. Ob diese im seit den 1960er Jahren bis heute propagierten Be-in liegen, ist dabei mehr als zweifelhaft. Denn wo dieses die Differenz von menschlichen Agierenden und technischen Dingen, Infrastrukturen und Algorithmen in der Illusion von Unmittelbarkeit unterläuft, befördert es zugleich die technokratischen Regime. Speculation-Labs werden in diesem Sinne zu Spekulationen über die Geschichte sowie die diskursive Produktivität von Theorien, Narrativen und Konzepten. Es geht bei der Spekulation mithin um ein diskurskritisches Reflektieren.
REFLEXION (Martina Leeker, April 2021)
Bild-und Videocredits: Ariane Henneberg, Fiona Becker, Annika Schlotmann, Jona Abernetty, Chukria Ahmad, Sophia Lange, Annika Remy, Noa Isabel Bachert, Nina Eckert, Drenica Prekazi